ReiseSplitter-Autor Thomas Bering im Interview

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© Thomas Bering - Autor Thomas Bering in Chefchaouen

Die Liste der Ziele, die Thomas Bering bereist hat, ist lang und wird wegen seines Nomaden-Gens ständig erweitert. Besonders die weniger populären Plätze unserer Erde wecken seine Neugierde. In seinem Buch „Im Schatten – Mit dem Buschtaxi durch Westafrika“ beschreibt er eine ungewöhnliche Reise entgegen den Migrationsströmen. Seine Reiseroute führt ihn durch Länder, die sich auf den Abstiegsrängen der internationalen Wohlstandstabelle bewegen.

Thomas, was hat dich zu dieser besonderen Reise bewogen?

Ehrlich gesagt, mein Nichtwissen, die Neugier und das von mir so empfundene Desinteresse der Weltöffentlichkeit an dieser Region, gerade im Kontrast zum Osten und Süden des Kontinents. Ich hatte einfach den Eindruck, dass meine Vorstellung und Kenntnisse von dieser Weltgegend so dürftig sind, dass ich vor Ort nachschauen gehen wollte. Und tatsächlich: In Westafrika sind der Alltag und das politische Geschehen oft spannender als jeder Krimi - darüber berichtet mein Buch.

Wie lange warst du in Westafrika unterwegs?

Etwa drei Monate.

Hast du dich speziell vorbereitet?

Eigentlich nicht. Von meinen Reisen, weiß ich, dass weniger Gepäck meistens mehr ist. Sicherlich war ich grob orientiert, will manches im Vorfeld aber auch nicht ganz so genau wissen. Es muss immer Raum für Überraschungen und Spontaneität bleiben. Zusammengefasst: Ich plane nicht, was ich vier Wochen später in Dakar anstelle. Gerne nehme ich die Atmosphäre der Orte und Länder zunächst wahr und recherchiere erst im Anschluss die Hintergründe. Ein guter Reiseführer ist aber natürlich immer im Gepäck, um kurzfristig benötigte Infos griffbereit oder Background-Informationen verfügbar zu haben. Speziell für Westafrika habe ich mich im Vorfeld mit der Visa-Situation auseinandergesetzt. Gerade für eine Überlandreise durch mehrere Länder sind einige Visa scheinbar schwer bis unmöglich zu bekommen. Die gängige Visa-Praxis in den Konsulaten vor Ort ist aber oft eine andere als auf den offiziellen Websites.

 

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© Thomas Bering - Bolama (Guinea-Bissau)
Bolama (Guinea-Bissau)

Was war an der Reise nach Westafrika anders als bei anderen Reisen, die du getätigt hast?

Fast alles. Schon die Motive für die Reise waren gänzlich andere. Sie lagen nicht in dem Wunsch begründet, landschaftliche Schönheit, eine großartige Tierwelt, spannende Metropolen, ein reiches Kulturerbe oder kulinarische Highlights kennenzulernen. Die Motivation war eher eine Reise ins Unbekannte zu machen. Den weißen Fleck auf der Karte kennenzulernen, in dem Wissen, dass das Meiste, das sonst gewöhnlich zum Aufbruch lockt, dort vielleicht nicht zu finden ist. Auf der Reise gab es in Westafrika natürlich sehr viel weniger komfortable "Erholungsoasen", dafür viel mehr unmittelbare authentische Begegnungen mit den Menschen und deren Lebensbedingungen. Als Reisender führst Du dort in vielen Facetten eher das Leben der Menschen vor Ort als anderswo, da selten eine luxuriöse, komfortable Ausweichmöglichkeit lockt (komfortables Hotel, Privattaxi, etc.). Und wenn die Bevölkerung vor Ort in die Röhre guckt, hast auch Du meist kein Wasser und keinen Strom.

 

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© Thomas Bering - Im Fischerviertel Guet Nadar, Saint Louis (Senegal)
Im Fischerviertel Guet Nadar, Saint Louis (Senegal)

Hat sich deine Komfortzone durch diese Gegebenheiten verändert?

Meine spontane Antwort lautet: Nicht wirklich. Ich glaube, Menschen sind relativ anpassungsfähig, wenn gewisse "creature comforts" einfach nicht mehr vorhanden sind. Vielleicht war meine Toleranzschwelle auch bereits im Vorfeld recht hoch. Mir ist jedoch bewusst geworden, dass ich unter den Lebensbedingungen Westafrikas mehr Pausen brauche und ein Leben im Tempo Europas nicht möglich ist. Denke ich nochmals über die Frage nach, ist meine erste spontane Antwort vielleicht nicht ganz richtig. Besser scheint mir jetzt: Ja, meine Komfortzone hat sich, teils auch unbewusst, verändert. Auf der Heimreise erinnere ich mich deutlich an meine Irritationen, als ich beim Zwischenstopp in Casablanca den Wasserhahn aufdrehte. Das war sehr ungewohnt. Unterschwellig ungläubig registrierte ich: Es kam verlässlich und zu jeder Tageszeit einfach immer wieder Wasser aus dem Hahn. Fuhr ich Taxi, bekam ich ein Auto für mich allein und hatte niemanden auf dem Schoß. Einfach verrückt! Im Nachhinein war spannend, wie schnell man sich an Komforteinbußen gewöhnt. So richtig ist mir das aber erst bei der Rückkehr in den Wohlstandsgürtel bewusst geworden.

Was war deine größte Herausforderung?

Geduldig stundenlang in der Sonne zu stehen und zu warten, dass sich irgendein Fahrzeug in Bewegung setzt. Auf langen Überlandfahrten in Zen-mäßiger Manier, gemäß dem kölschenen Motto "Et hätt noch immer jot jejange", dem Fahrer zu vertrauen. Stundenlang verschwitzt, schmutzverkrustet und eingeklemmt in einem überfüllten Vehikel auszuharren in dem Wissen, die nächsten 12 Stunden kein Wasser zum Waschen zu haben. Als ich mich krank fühlte, der Psyche einzuimpfen, dass es nichts Ernstes ist und dem Körper zu vertrauen, dass er das regelt.

 

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© Thomas Bering - An der Grenze DARS Mauretanien
An der Grenze DARS Mauretanien

Fühlten sich einige Orte oder Situationen manchmal gefährlich an?

Abgesehen vom Straßenverkehr, eigentlich nicht. Aufgrund eines Missverständnisses bin ich bei meiner Ankunft nachts in einer wirklich gruseligen, menschenleeren Gegend Conakrys gelandet, die ich nicht einfach mit dem nächsten Taxi verlassen konnte. Aber da ging es wohl eher um gefühlte, als um echte Gefahr. Auch manch nächtlicher Heimweg in rabenschwarzer Nacht, von keinem noch so kleinen Licht erhellt, war gewöhnungsbedürftig. Die wirkliche Herausforderung aber war in vielen Gegenden die Verkehrskultur auf den Straßen. Wenn Dein Chauffeur das uralte, marode Vehikel, in das man mit zehn weiteren Passagieren gequetscht wird (die auf dem Dach nicht mitgezählt), in Schwung bringt, um mit entspannter Haltung und leichtem Sinn - irgendwo zwischen Gottvertrauen und Fatalismus - zum Überholen ansetzt … ja, dann schließt man am besten die Augen, achtet nicht mehr auf die Straße oder wendet sich an höhere Mächte.

Wie sind dir die Menschen begegnet? 

Viele Menschen in Westafrika waren unglaublich herzlich. Doch oft war zunächst ein wenig Zurückhaltung zu spüren und vielleicht waren auch ein paar Vorbehalte mir gegenüber vorhanden. In einigen Fällen musste zunächst das Eis gebrochen werden. Es gab durchaus Tabuthemen. Doch immer sind mir die Menschen trotz ihrer oft schwierigen Situation mit großer Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft begegnet und ich habe viele Menschen als ehrlich interessiert kennengelernt. An manchen Orten gaben sie mir gar das Gefühl, (wenn auch vorübergehender) Teil ihres Alltags zu sein. Nur in einem Einzelfall habe ich verbale Aggressivität erlebt, ganz im Gegensatz zu den Wildwestbildern, die mit dieser Weltgegend verbunden werden.

 

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© Thomas Bering - Fracht-und Passagierboot (Guinea-Bissau)
Fracht-und Passagierboot (Guinea-Bissau)

Welches Erlebnis auf deinem Westafrika-Trip hat dich am tiefsten berührt?

Sehr berührt haben mich die Geschichten und die Wut der Fischer in St. Louis, gerade in Kombination mit der massiven Umweltverschmutzung und den sichtbaren Folgen der Klimakrise. Berührt hat mich eine vom Ehemann misshandelte junge Frau, die in unserer Unterkunft liebevolle Unterstützung erfuhr und von der Krankenstation Hilfe bekam. Und natürlich immer wieder die Schicksale, die mit politischen Konflikten zusammenhingen. Die Geschichte vom Auslandsstudenten, der für das Studium in den Senegal kam und aufgrund von Bürgerkrieg und anschließendem Geldmangel seine Freunde & Familie seit ungefähr 15 Jahren nicht mehr gesehen hat. Es hat mich auch angegriffen, wenn ich gesehen habe, dass ein Mensch, der Klempner aus Sierra Leone, sein ganzes Leben in Form eines zerknitterten Diploms und einer Rohrzange mit sich herumträgt.

Warum zieht es dich immer wieder in die Ferne?

Weil ich neugierig bin, die Überraschungen und die Begegnungen beim Reisen genieße. Weil Reisen mich tagtäglich bereichert. Weil mir das Gefühl mich in fremden Kulturen wohlzufühlen und in der Fremde zurechtzukommen, scheinbar sehr viel gibt. Weil ich mich in der Fremde frei und geborgen fühle, natürlich auch weil die räumliche Entfernung von sozialem Umfeld und Besitz zu weniger Pflichten und einem Gefühl von Freiheit führt.

Das Buch findet ihr in unserem Shop: "Im Schatten - Mit dem Buschtaxi durch Westafrika"

 

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